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Pressemitteilung: Unentscheidbare Entscheidungen? Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch thematisiert fehlendes Handlungswissen bei Pränataldiagnostik.

Illustration: Mary Vu

 

Praxis-Akteur*innen diskutieren über vorgeburtliche Untersuchungen und das Tabu rund um späte Schwangerschaftsabbrüche.

Frankfurt am Main/Berlin, 18.07.24. Wie entscheiden sich Schwangere, wenn eine mögliche Behinderung ihres Fötus festgestellt wird – und wie können sie in ihrer Entscheidung gut beraten werden? Möglichkeiten und Grenzen von Pränataldiagnostik (PND) und entsprechender Beratung standen im Fokus der zweiten Sitzung der Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch. Die Werkstatt besteht aus Betroffenen, Ärzt*innen, Pädagog*innen, Eltern und Vertreter*innen von Glaubensgemeinschaften, die unterschiedliche Meinungen zum Schwangerschaftsabbruch haben. Die Ergebnisse des zweiten Werkstatt-Gesprächs weisen auf die Unmöglichkeit einer aufgeklärten Entscheidung über das Fortführen oder Beenden einer Schwangerschaft bei auffälligem Befund hin.

Die Werkstatt-Teilnehmenden stellen fest: Pränataldiagnostik wird von einigen Schwangeren gleichzeitig als Pflicht und Kontrollmöglichkeit wahrgenommen. Der Zugang zu PND bzw. entsprechender Beratung ist jedoch stark abhängig von kulturellen und sozialen Faktoren. Auf einen auffälligen Befund folgt in den meisten Fällen die Entscheidung für einen Abbruch nach medizinischer Indikation. Dass diese Entscheidung immer aufgeklärt und frei von äußeren Zwängen getroffen wird, bezweifelt die Dialogwerkstatt: Es fehlt in unserer Gesellschaft nicht nur an Wissen zur Aussagekräftigkeit pränataler Befunde, sondern auch zu Lebensrealitäten mit Behinderungen. Eine Entscheidung „nach bestem Wissen und Gewissen“ scheitert auch an der unzureichenden Vernetzung zwischen Gesundheitspersonal, das z.B. den auffälligen Befund stellt, und psychosozialer Beratung, in der Möglichkeiten im Umgang damit besprochen werden können.

Wie könnte diese Wissenslücke geschlossen werden? Einzelne Stimmen aus der Debatte:


Susanne Weise, Schwangerschaftskonfliktberatung und Mitglied beim Netzwerk PRiNA:

„Fachkräfte in Beratungsstellen bräuchten mehr Weiterbildung zu diesen Themen. Eine Beratung durch qualifizierte Fachkräfte ist zudem im Schwangerschaftskonfliktgesetz (siehe §9 SchKG) vorgeschrieben.“ (Diskussionspapier #2, S. 14)

Ayten Kılıçarslan, Sozialdienst muslimischer Frauen:

„[Migrantische und z.B. deutsch-muslimische Familien] finden sich mit ihren Wertorientierungen, den für sie wichtigen Normen und ihren Erfahrungen als gesellschaftliche Minderheit in der Beratungslandschaft in Deutschland nicht wieder und erleben das als Hürde. (….) Beratungsangebote müssten daher sensibel sein, was Bedürfnisse unterschiedlicher Kulturen und Religionen betrifft.“ (Diskussionspapier #2, S. 15-16)

Vera Bläsing, Elterninitiative BM 3X21 und Dr. Heribert Kentenich, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe:

„Peer-to-Peer-Beratung (also Gespräche auf Augenhöhe zwischen Menschen mit gleichen Erfahrungen) könnte in der Entscheidungsfindung besonders hilfreich sein.“ (Diskussionspapier #2, S. 11 und S. 15)

Um eine wissenschaftliche Herangehensweise an das Thema zu ermöglichen, vervollständigte Dr. Marina Mohr von der Cara-Beratungsstelle zu Schwangerschaft und Pränataldiagnostik die Sitzungsrunde. Die einzelnen Argumentationsstränge der Teilnehmenden lassen sich im zweiten Diskussionspapier der Dialogwerkstatt nachvollziehen.

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Die Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch ist ein Projekt des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V., bei dem über einen Zeitraum von einem Jahr insgesamt 18 Menschen mit vielfältigen Meinungen in eine konstruktive und wissenschaftlich basierte Debatte über Abbrüche kommen. Die Werkstatt wird bis Oktober 2024 durchgeführt und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.

 

2. Diskussionspapier „Unentscheidbare Entscheidungen. Beratung und Begleitung im Kontext von Pränataldiagnostik.“ (Judith Dubiski, Alina Jung, Theresa Köchl, Dr. Alexa Nossek)


2. Expertise im Auftrag der Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch „Beratung zur Pränataldiagnostik. Problemkomplexe um Entscheidungsfreiheit, Kontrollmöglichkeiten und warum Behinderung noch immer eine Indikation ist.“ (Dr. Marina Mohr/ Cara Beratungsstelle zu Schwangerschaft und Pränataldiagnostik)

 

Fragen und Antworten zum Projekt.

Instagram-Account der Dialogwerkstatt

 

 

Pressekontakt:

Theresa Köchl
Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Öffentlichkeitsarbeit und Krisenkommunikation
dialogwerkstatt(at)iss-ffm.de