Bei ihrem letzten Zusammentreffen thematisieren Teilnehmende des Dialogexperiments Möglichkeiten und Grenzen von Männern* im Kontext von Abbrüchen.
Frankfurt am Main/Berlin, 18.12.24.
Eine Schwangerschaft entsteht durch zwei Menschen – in der öffentlichen Debatte wird aber meist nur die Entscheidung der ungeplant Schwangeren thematisiert. Dass auch Erzeuger* in diesem Entscheidungsprozess eine wichtige Rolle spielen, zeigte die jüngste und letzte Sitzung der Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch. Die Gruppe aus Vertreter*innen von Religionsgemeinschaften, Menschenrechtsorganisationen, Ärzt*innen und Selbsthilfegruppen-Leiter*innen debattierte den Balance-Akt der Rollenfindung: Wie können Männer* sich in eine Entscheidung einbringen und eigene Gefühle artikulieren – und gleichzeitig keinen Druck ausüben und Bedürfnisse der Schwangeren priorisieren?
Herausforderungen und Bedürfnisse Nicht-Schwangerer
Im Mittelpunkt der Sitzung stand eine Expertise der Sozialwissenschaftlerin Dr. Anika Steger, die das Erleben eines Schwangerschaftsabbruchs aus männlicher Perspektive aufzeigt. Basierend auf Dr. Stegers Analysen zeigte die Werkstatt-Debatte, dass viele Männer* sich in der emotionalen und praktischen Begleitung Schwangerer unsicher fühlen. Dies liege, so der Väterberater Ian Bühler, unter anderem an starren Rollenbildern, die männlichen Personen wenig Raum für das Kommunizieren von Emotionen wie Trauer oder Ratlosigkeit ließen. Gleichzeitig fehlt es an gezielten Beratungs- und Hilfeangeboten für Erzeuger* im Kontext ungeplanter Schwangerschaften. Schwangerenberater*in Susanne Weise und Selbsthilfe-Gruppen-Leitung Leila betonen: Erzeuger* bei Beratungsgesprächen mit der Schwangeren zu involvieren sei nicht immer die richtige Lösung, weil die Beziehung durch Gewalt geprägt sein könnte.
Frühe Verantwortungsübernahme und kritischer Blick auf patriarchale Strukturen
Verantwortungsübernahme beginne bereits vor der Schwangerschaft, wenn Rollenvorstellungen innerhalb einer potentiellen Familie gemeinsam reflektiert werden, so Lebensschutz-Aktivistin Sabina Scherer und Ayten Kılıçarslan vom Sozialdienst muslimischer Frauen. Assistenzarzt Taleo Stüwe fordert außerdem dazu auf, sich als Mann* Wissen über Prozesse rund um einen Abbruch anzueignen, um mit dem Tabu des „Frauenthemas“ zu brechen.
In der vielfältig besetzten Runde zeigt sich jedoch auch: Wenn über die Rolle von Männern* bei ungeplanten Schwangerschaften gesprochen wird, muss ebenso über patriarchale Strukturen gesprochen werden. Zwischen Erzeuger* und ungeplant Schwangerer bestehe automatisch ein Machtgefälle: Denn die schwangere Person trage zwar final die Verantwortung für eine Entscheidung - sowohl emotional als auch körperlich - befinde sich aber oftmals in der gesellschaftlich schwächeren Position, beispielsweise aufgrund finanzieller Abhängigkeit. Einige Teilnehmende sprechen sich außerdem dafür aus, die Frage nach angemessener Begleitung und einem geteilten Entscheidungsprozess nicht nur an männliche Erzeuger*, sondern an das gesamte Umfeld der Schwangeren zu richten. Denn, so einige Werkstatt-Teilnehmende, viele ungewollte Schwangerschaften würden nicht während einer festen Partnerschaft entstehen und auch die Begleitung der Schwangeren erfolge nicht immer durch den Erzeuger*.
Letzte Gesprächsrunde: Ein gemeinsames Ziel, Erkenntnisse und Ausblick
Die Debatte über Erzeuger* im Schwangerschaftskonflikt schließt die ein Jahr lang bestehende Dialogwerkstatt. Trotz unterschiedlicher Grundhaltungen der Teilnehmenden konnten sich 13 der 18 Teilnehmenden auf eine gemeinsame Forderung einigen: Sie wollen sich für ein vielfältigeres Beratungsangebot einsetzen, das sensibel auf verschiedene Kulturen, Religionen und Sprachen reagiert.
Zum 18.12. schließen sich die auch die Online-Räume der Werkstatt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird auf der Projekt-Website noch ein Reflexions-Papier veröffentlicht, in dem das Team Gelingensbedingungen und Herausforderungen in der analogen und digitalen Debatte um Abbrüche formuliert. Aktuell sind auf der Website außerdem erste Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Forschung einsehbar, die sich sowohl mit der Meinungsbildung als auch der Entscheidungsfindung bei Abbrüchen beschäftigt. Umfassende Ergebnisse werden voraussichtlich 2025 in Forschungsjournals veröffentlicht.
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Die Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch ist ein Projekt des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V., das bis Dezember 2024 durchgeführt und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird.
5. Diskussionspapier „Zwischen Sprachlosigkeit und Verantwortung. Zur komplexen Rolle von Männern* und Erzeugern* bei ungeplanten Schwangerschaften.“
(Judith Dubiski, Alina Jung, Theresa Köchl, Dr. Alexa Nossek)
5. Expertise im Auftrag der Dialogwerkstatt: „Zwischen Betroffenheit und Pflichtgefühl. Schwangerschaftskonflikte der Nicht-Schwangeren. Eine Expertise zu Erfahrungen von Männern mit Schwangerschaftsabbrüchen.“ (Dr. Anika Steger)
Fragen und Antworten zum Projekt.
Pressekontakt:
Theresa Köchl
Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Öffentlichkeitsarbeit und Krisenkommunikation
dialogwerkstatt(at)iss-ffm.de