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Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch tritt an die Öffentlichkeit: Akteur*innen aus der Praxis eröffnen einen Gesprächsraum für vielfältige Perspektiven auf Abbrüche.

Ein Teil der Teilnehmenden v.l.n.r.: Taleo Stüwe, Lena Henke, eine Teilnehmerin, Cintia Ferreira, Ayten Kılıçarslan, Ian Bühler, Laura Cappenberg, Tirza Schmidt, Bildnachweis: ISS e.V., Theresa Köchl

Die 18 Teilnehmenden der vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. durchgeführten Dialogwerkstatt stellen sich heute nach sechsmonatiger Zusammenarbeit vor. Sie zeigen: Der Dialog zu Schwangerschaftsabbrüchen kann auch zwischen unterschiedlichen Positionen gelingen.

Frankfurt am Main/Berlin, 16.05.24. Mit Menschen sprechen, die eine andere Meinung vertreten: dieser Aufgabe widmet sich seit Dezember 2023 eine Gruppe aus Betroffenen, Ärzt*innen, Eltern und Vertreter*innen von Menschenrechtsorganisationen, Glaubensgemeinschaften sowie Beratungsstellen. In der Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch wollen sie gemeinsam einen Beitrag zur Verbesserung der Lage Betroffener und Beteiligter im Kontext von Abbrüchen leisten. Das vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. durchgeführte Projekt ist ein demokratisches Experiment: In einer Zeit, in der die Beendigung von (ungewollten) Schwangerschaften so polarisierend wie fast kein anderes Thema wirkt, sollen neue Impulse für die gesellschaftliche Debatte erarbeitet werden. Ziel ist es, verschiedenste Sichtweisen vom Lebensschutz bis hin zur Befürwortung des Rechts auf körperliche Selbstbestimmung ins Gespräch zu bringen. Dabei diskutieren die Teilnehmenden auf der Basis wissenschaftlicher und praktischer Erkenntnisse statt moralischer Überzeugungen. Ein erstes Resümee zeigt, dass dieses Vorhaben gelingt.

Nele Blumthal* (Pseudonym), Gründerin einer Selbsthilfegruppe für Menschen, die sich für einen Abbruch entschieden haben/ Teil der Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch: „Was muss sich an der aktuellen Lage für Betroffene verbessern? Durch meine Erfahrung eines Abbruchs Antworten auf diese Frage mitgestalten und etwas an andere weitergeben zu können – das ist meine Motivation, an der Dialogwerkstatt teilzunehmen.“

Sabina Scherer, Aktivistin und Podcasterin „Ein Zellhaufen spricht über Abtreibung“/ Teil der Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch: „Demokratie braucht lebhaften und fruchtbaren Diskurs. Der kann nur stattfinden, wenn alle Positionen vertreten sind. Deshalb bin ich als Fürsprecherin des Lebensrechts der Ungeborenen Teil der Dialogwerkstatt – denn das Recht auf Leben ist Grundlage aller anderen Rechte.“

 

Gelungener Dialogauftakt: Einteilung in die Pole „Pro Life“ und „Pro Choice“ wird kritisch hinterfragt.
 

Festgehalten werden die Debatten der Dialogwerkstatt in Diskussionspapieren. Das 1. Papier „Pro Life, Pro Choice und die Graustufen dazwischen“ dokumentiert den Prozess der Gewinnung der 18 Teilnehmenden und Erkenntnisse aus ihrem ersten Aufeinandertreffen. Auf Basis einer Expertise der Historikerin Dr. Jessica Bock stellen die Teilnehmenden infrage, ob eine klare Aufteilung in die Positionen Pro Life (für den Lebensschutz) und Pro Choice (für die Entscheidungsfreiheit) überhaupt möglich und sinnvoll ist.

Aus Sicht einiger Teilnehmender ist die Darstellung der Debatte um Abbrüche durch zwei Extrempole vereinfacht – oder sie befürchten, durch das Verwenden bestimmten Vokabulars als Teil einer der Bewegungen angesehen zu werden:

„So kann eine Pro Choice-Haltung für [die Gründerin einer Elterninitiative für Kinder mit Down-Syndrom] Vera Bläsing nur in einer inklusiven Gesellschaft gelebt werden, in der auch Embryonen mit auffälligem [pränatalen] Befund ‚leben dürfen‘.

„Die Referentin der Bundesgeschäftsstelle von donum vitae kritisiert, dass man ihrer Erfahrung nach durch das Verwenden des Begriffs ‚ungeborenes Leben‘ automatisch mit der Lebensschutz-Bewegung in Verbindung gebracht werden würde – und damit gleichzeitig auch mit den Vorwürfen des Antisemitismus gegen einige seiner Akteur*innen.“
(1. Diskussionspapier, S. 13)

Bereits nach dem ersten intensiven Austausch kann ein positives Resümee gezogen werden:  Der Dialog zwischen den unterschiedlich positionierten Teilnehmenden gelingt. Beispielhaft dafür stehen gemeinsam formulierte Botschaften: Die angemessene Unterstützung von Schwangeren in Konfliktsituationen wird als notwendig betrachtet und der Ausbau der Beratungslandschaft gefordert – auch wenn diese Bedarfe ganz unterschiedlich begründet werden.


Zweite Säule des Dialogs: Sozialwissenschaftliche Forschung zu Meinungsbildung und Entscheidungsfindung und extern vergebene Expertisen.
 

Um nicht nur mittels persönlicher Erfahrungen zu diskutieren sind wissenschaftliche Erkenntnisse eng in die Dialogwerkstatt eingebunden. Das geschieht sowohl durch vom Projektteam des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. durchgeführte, sozialwissenschaftliche Feldforschung als auch extern vergebene Expertisen. Im Forschungsfokus stehen zwei Fragen: Wie bilden sich Menschen eine Meinung zu Abbrüchen? Und: Was kann die Entscheidung für oder gegen einen Abbruch beeinflussen? Fragen zur Meinungsbildung werden mithilfe quantitativer Erhebungen auf Basis der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) und einer Telefonbefragung erforscht. Dem Prozess der persönlichen Entscheidungsfindung für oder gegen einen Abbruch wird sich durch qualitative Interviews genähert.

Zusätzlich geben die Teilnehmenden der Dialogwerkstatt Impulse für Themen, zu denen sie sich eine Faktenaufbereitung wünschen. Diese wird ihnen in Form einer extern vergebenen Expertise geliefert, die jeweils die Gesprächsgrundlage einer Sitzung bildet. Für das erste
Zusammentreffen der Dialogwerkstatt erarbeitete die Historikerin Dr. Jessica Bock eine Expertise mit dem Titel „Die Debatten über den Schwangerschaftsabbruch von 1972 bis heute: Akteur*innen – Diskurse – Argumente“.

Die Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch wird voraussichtlich bis Oktober 2024 durchgeführt und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. In der zweiten Sitzung im Februar 2024 beschäftigten sich die Teilnehmenden mit Chancen und Herausforderungen der Beratung vor und nach der Pränataldiagnostik. Eine Zusammenfassung dieser Debatte und die entsprechende Expertise werden im Juni veröffentlicht. Mit ersten Forschungsergebnissen sowohl zur Meinungsbildung als auch Entscheidungsfindung ist im Sommer 2024 zu rechnen.

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PDF-Version der Pressemitteilung.
 

  • 1. Diskussionspapier „Pro Life, Pro Choice und die Graustufen dazwischen. Eine Diskussion zu verschiedenen Positionen zu Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland.“ (Judith Dubiski, Alina Jung, Theresa Köchl, Dr. Alexa Nossek)
  • 1. Expertise im Auftrag der Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch „Die Debatten über den Schwangerschaftsabbruch von 1972 bis heute: Akteur*innen‒Diskurse‒ Argumente.“ (Dr. Jessica Bock)

Fragen und Antworten zum Projekt.

Einige Teilnehmende der Dialogwerkstatt stehen je nach Anlass für Interviews oder (Hintergrund-)Gespräche zu ihren spezifischen Themenfeldern als Ansprechpartner*innen zur Verfügung. Eine Übersicht der Teilnehmenden finden Sie hier: www.dialogwerkstatt-schwangerschaftsabbruch.de/teilnehmende


Bei Interesse kontaktieren Sie uns unter: dialogwerkstatt(at)iss-ffm.de

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E-Mail: dialogwerkstatt(at)iss-ffm.de
Website: www.dialogwerkstatt-schwangerschaftsabbruch.de

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